Plädoyer für Niederlassung in der Einzelpraxis
Da der Zahnärztetag online stattfand, hatte Kammerpräsident Dr. Michael Brandt zum IBB VIP-Gespräch in die Zahnärztekammer eingeladen. Dieser Teil des Veranstaltungsformates Initiative Berufspolitische Bildung (IBB), das sich mit den berufspolitischen Themen befasst, konnte erstmals seit drei Jahren wieder stattfinden. VIP-Gast war Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), der zum Thema „Selbstständig sein – Lust oder Frust?“ referierte.
Prof. Benz freute sich, dass auch zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der AS-Akademie, die sich die berufspolitische Fortbildung auf die Fahne geschrieben hat und unter seiner Leitung steht, begrüßen zu können und sparte in seinem Impulsvortrag nicht mit Selbstkritik: „Wir haben in der Standespolitik die Niederlassung lange schlecht geredet.“
Damit meinte er natürlich nicht die Niederlassung an sich, sondern zum Beispiel das Stöhnen über zu viel Bürokratie. „Ein Bäckermeister hat deutlich mehr Bürokratiestunden als eine Zahnarztpraxis“, so Benz und berichtete aus der Arbeit im Normenkontrollrat zum Bürokratieabbau.
Über „die Anstellung ist völlig okay, aber bitte nur in ‚guten‘ Strukturen“ ging es in dem Vortrag zur Niederlassung und um ein flammendes Plädoyer für die Einzelpraxis. „Die kleine Praxis“ sei der Goldstandard, habe die Mundgesundheit von der Kreisklasse in die Champions-League geführt, decke den Großteil der Patientenwünsche ab und sei ein „Spurhalteassistent“ gegen Ausrutscher. Ist „die kleine Praxis“ nicht der wahre Nukleus der Freiberuflichkeit? Schließlich gelte: „Ich strenge mich an, weil es meins ist, ich kann nicht über die Stränge schlagen!“
Seinen kurzweiligen Vortrag schloss Benz mit der Dentalen Quadriga:
- handwerkliches Geschick,
- akademische Kompetenz,
- Lust auf Menschen,
- Lust auf Unternehmersein,
die man sehr gut als Eingangsvoraussetzung für ein Zahnmedizinstudium implementieren könnte.
Genauso engagiert wie das Impulsreferat verlief die anschließende Diskussion. Angefangen über das Schulsystem, „das laut der Psychologin Vera Birkenbihl auf das weibliche Gehirn ausgerichtet ist“, wie Dr. Anita Baresel bemerkte, über die Anregung zu einem Mentorenprogramm von Dr. Stefan Männel, bis zu der Erkenntnis von Eric Brand, dass die vielen Probleme bei der Umsetzung im Hardware- und Softwaresegment die Akzeptanz der Telematik in der Kollegenschaft gefährden.
Die zahlreich vertretenden Kolleginnen und Kollegen berichteten mit eindrucksvollen Beispielen aus ihrer täglichen Herausforderung, die richtige Balance zwischen eigener Praxis und Familie zu finden. Dragica Klink eröffnet das Thema mit dem Statement: „Das gesellschaftliche Umfeld gibt Schwangerschaft und Selbstständigkeit nicht her.“
Dr. Silvia Rafail hatte nach ihrer langjährigen Kliniktätigkeit erlebt, dass die Freiheit, alles selbst bestimmen zu können, der große Vorteil einer eigenen Praxis ist. Auch „Selbstständigkeit mit Kind geht“. Dr. Rita Mahrt berichtete, dass sie am Ende ihrer Schwangerschaft von einem Zahnarzt, der ihr mit Hilfe der Kammer aus Kiel vermittelt wurde, vertreten wurde. Dr. Franziska Pohlmeyer griff dies auf und regte an, einen Vertreterpool aufzulegen.
Einen Frustfaktor aller Praxisinhaberinnen und -inhaber griff Dr. Anja Steinriede-Becker auf. Sie sah, wie alle anwesenden Praxisinhaber, hohe Hürden für eine Niederlassung durch eine zunehmende Anzahl von Regeln und Pflichten, die zu erheblichen Aufwendungen führen, ohne erkennbaren Nutzen für die Patientenversorgung.
Diese bedingen u. a., dass externe Dienstleister Einzelleistungen (stark wechselnder Qualität) anbieten, leider oft nicht den Praxisbedürfnissen
entsprechend. Sie möchte die Gremien ermuntern, die Einführung neuer Regeln zu verhindern, vorhandene deutlich zu reduzieren und sich bei der Interpretation von Regeln an der sie tragenden Zahnärzteschaft zu orientieren. Für den immer weniger einträglichen Notdienst könnte sich Dr. Stefan Männel eine bundesweite Notdienstnummer und mehr Telemedizin vorstellen. Zahnärztliche Notdienstfälle in den Praxen sind in der Regel nicht lebensbedrohlich.
Dr. Joachim Hüttmann forderte die Teilnehmenden auf, sich an Stammtischen auszutauschen. Dabei könnte man auch die Vorgehensweise von Dentalindustrie und -handel hinterfragen, die Produkte lieber neu verkaufen, als sie zu reparieren.
Mit einem großen Dank an BZÄK-Präsident Prof. Dr. Benz und die Teilnehmenden für die vielen guten Anregungen, rief Kammerpräsident Brandt die anwesenden Vorstands- und Ausschussmitglieder auf, die Anregungen in die Kammerarbeit einzubringen.
Bei einem leckeren Imbiss und passenden Getränken wurde im kleinen Kreis im Foyer weiter diskutiert. Einig war man sich im Fazit: Die Einzelpraxis wird gebraucht, sie hat Zukunft.